Der Triumph des Gedenkens über den Konsumtempel


Nachdem eine Bürgerinitiative 2009 den Abriss der ehemaligen Stuttgarter Gestapo-Zentrale „Hotel Silber“ gegen die Widerstände von Landesregierung und Gemeinderat verhindern konnte, wurde dort endlich am 3.12.2018 eine von den Bürgern geforderte Gedenkstätte eröffnet. In einer Dauerausstellung wird in zwei Polizeistationen die NS-Justiz dokumentiert. Im Hospitalhof waren seit der Zeit des Wilhelminischen Deutschland bis zur Zerstörung durch britische Luftangriffe 1944 Kriminalpolizei und Gefängnis untergebracht. In der Nazi-Zeit saßen dort Landeskriminalamt und Kriminalpolizeileitstelle.

1816 wurde das Gebäude in der Dorotheenstraße 10 errichtet, in dem sich von 1874 bis 1919 das Hotel Silber befand. In den letzten fünf Jahren der Weimarer Republik waren in dem Gebäude Kriminalpolizei und Politische Polizei eingerichtet. Im Untergeschoss war von 1928 bis 1948 eine Verwahrzelle eingerichtet, die für den Gedenkort nachgestellt wurde. In diesem Kellergewölbe fanden die Folterungen und Morde an Sozialdemokraten und Kommunisten durch die Gestapo statt. Im ersten Obergeschoss ist die eigentliche Ausstellung mit zahlreichen Originaldokumenten der Gestapo-Greuel.

Das Hotel Silber war in der Nazi-Zeit die Terrorzentrale des ganzen Schwabenlandes. Von dort aus wurde der Nazi-Terror in Stuttgart und Württemberg organisiert, sowie die Verfolgungen und Deportationen aller Juden, Sinti und Roma, politischer Gegner und Homosexueller. Von dort aus wurde gegen Georg Elser, dessen Attentatsversuch an Hitler 1938 gescheitert war, ermittelt.

Nach dem Krieg diente es noch bis 1984 als Haftanstalt, und vierzehn Gestapo-Knechte durften in der jungen Bundesrepublik weiter bei der Kripo Stuttgart dienen. Die unambitionierte Entnazifizierung brachte im Stuttgarter Gemeinderat und der Landesregierung eine Unlust an einer Gedenkstätte mit sich. 2008 setzte sich der damalige Oberbürgermeister von Stuttgart, Wolfgang Schuster, für den Abriss des Gebäudes ein mit der Behauptung, es sei im Krieg vollständig zerstört worden, was durch den Architekten Roland Ostertag widerlegt werden konnte. Eine von Ostertag ins Leben gerufene breit angelegte Bürgerinitiative konnte den Abriss verhindern, und statt eines geplanten Monstrums aus Büros und Hotels des Breuninger-Imperiums die nun eröffnete Gedenkstätte durchsetzen. Ursprüngliche Befürworter des Abrisses und damit der Verleugnung der NS-Geschichte schmücken sich schließlich mit den fremden Federn, die Gedenkstätte ins Werk gesetzt zu haben – nein, diese waren es nicht!

Das abstrakte Gedenken an die Opfer an einem Ort der verschwiegenen Täter und somit eine Distanz zum Geschehen kann nur durch Zeitzeugen aufgebrochen werden. „Man darf das Persönliche nicht verschweigen“, sagt Heinz Hummler, ein Stuttgarter Genosse, dessen Vater 1943 festgenommen und mit anderen Genossen ein Jahr später in Brandenburg hingerichtet wurde. Er hatte sich mit einem befreundeten Nachbarn, Max Wagner, – beide Wohnhaft in der damaligen Moltke- heute Bebelstraße – über Radio Moskau und London über die politische Lage informiert und diese unter der Hand verbreitet. Der Kreis erweiterte sich auf 30 Personen. Über Heinz Bogdan, einem Freund und Sportskollegen aus Berlin, schloss sich die Gruppe mit dem Berliner Widerstand zusammen. Bogdan bat die Stuttgarter Genossen, den jüdischen Zahnarzt Dr. Walter Glaser in die Schweiz zu schmuggeln. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, Emil Erath, nahm sich dieser Aufgabe an, Glaser wohnte verborgen bei Max Wagner, bei der Weiterfahrt mit Erath wurde Glaser aufgegriffen und nach Berlin verbracht – Erath entpuppte sich als von der Gestapo eingeschleuster Spitzel. Glaser nahm sich im Oktober 1943 im Jüdischen Krankenhaus zu Berlin das Leben. Alle der Gruppe wurden festgenommen, so Anton Hummler in Hildesheim. Danach nach Stuttgart verbracht, musste er zahlreiche Gestapo-Verhöre im Hotel Silber über sich ergehen lassen. Seine Frau Frieda fand eines Tages beim Waschen seiner blutverschmierten Wäsche einen Kassiber in einem Strumpf, den Anton Hummler dort versteckt hatte mit der Nachricht "Erath ist der Verräter". Frieda schrieb die Nachricht ab und verteilte sie in die Briefkästen Bekannter zu deren Warnung, die diese ernst nahmen und sich entsprechend verhielten, was ihnen womöglich das Leben gerettet hatte, wie sich nach dem Krieg herausstellte.

Nach dem Krieg wurde keiner der Gestapo-Schergen belangt, Richter und Staatsanwälte, die Anton Hummler und viele andere Genossen verurteilt und hingerichtet hatten, genossen hohe Pensionen und Straffreiheit, da sie damaligem Recht entsprechend gehandelt hätte, d.h. der „Rechtsstaat“ BRD erkennt die verbrecherische Rechtsgrundlage der Nazis an.

Vor diesem Hintergrund muss wahrgenommen werden, warum eine Bürgerinitiative gegen die Landesregierung ankämpfen muss, der ein Profittempel wichtiger ist, als das Erinnern. Dass aber dieser Kampf um das Gedenkzentrum gewonnen wurde, ist ein großer politischer Erfolg, wie Heinz Hummler betont, und „Das Vergessen ist gefährlich, es ist die Erlaubnis zur Wiederholung“.

 

 

 

 

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